20. Mai 2020

Teil der Lösung sein – CEOs im Gespräch

Leseprobe

Finanzplatz Schweiz // Wirtschaftskrise // Corona

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Seit September 2019 sind zwei Turicer in höchsten Positionen bei führenden Schweizer Banken tätig. Eine Konstellation, wie es sie nicht alle Tage gibt! Basil Heeb v/o Palü ist CEO der Basler Kantonalbank (BKB) und Verwaltungsratspräsident der Tochtergesellschaft Bank Cler. Philipp Rickenbacher v/o Alliance ist CEO und Mitglied der Geschäftsleitung der Julius Bär Gruppe AG und der Bank Julius Bär & Co. AG.

Das Gespräch mit den beiden CEOs Heeb v/o Palü und Rickenbacher v/o Alliance hätte am Freitag, 17. April 2020, ganz im Sinne couleurstudentischer Gemütlichkeit bei einem leckeren Abendessen und einem kühlen Bierchen stattfinden sollen. Doch auch hier machte das Coronavirus einen Strich durch die Rechnung und der Austausch fand während des Lockdowns via Telefonkonferenz (Telco) statt – die einen sassen im Home-Office, der andere im Büro. Pro: Geld gespart wegen ausgefallenem Nachtessen; Zeitaufwand von gut einer Stunde, statt mehrstündigem Abendprogramm; klarer(er) Kopf am nächsten Tag, vorausgesetzt, die Teilnehmenden erfrischten sich während der Telco mit Mineralwasser. Contra: reduzierte Geselligkeit und formellerer Rahmen. Sind dies Eigenschaften der neuen – hoffentlich nur temporären – Corona-Realität? Was bedeutet die Corona-Krise für das Bankgeschäft, für das künftige (Nicht-) Zusammensein am Arbeitsplatz und für den Finanzplatz Schweiz? Hierüber haben wir gesprochen – sowie über Tokenized Assets, IMF-Szenarios und darüber, weshalb die Zeit der Austerity-Politik vorbei sein muss.

© BKB.

Zur Person Basil Heeb v/o Palü
Basil Heeb v/o Palü, Dr. sc. techn., ist seit dem 1. April 2019 CEO der Basler Kantonalbank und Vorsitzender der Konzernleitung – zudem wurde er Mitte 2019 zum Verwaltungsratspräsident der Bank Cler ernannt. Zu Beginn seiner Karriere war Palü bei McKinsey & Co. in der Beratung von Finanzunternehmen tätig. Anschliessend wechselte er in die Finanzbranche und leitete zunächst die Basler Niederlassung von Wegelin & Co. Privatbanquiers, bevor er die Funktion des CFO bei der Notenstein La Roche Privatbank übernahm. Vor seinem Wechsel zur Basler Kantonalbank war Palü bei swissQuant Group AG als Verwaltungsrat aktiv.
Im Wintersemester 1987/88 bekleidete Palü, damals stud. werkstoff. ing. ETH, das Amt des Fuchsmajors. Im Jahr 2012 war er Geschäftsleitungsmitglied der Notenstein Privatbank AG in St. Gallen und in dieser Funktion referierte er am Martinimahl im Zunfthaus zur Haue zum Thema «Als Werkstoffingenieur im Private Banking».

Zur Person Philipp Rickenbacher v/o Alliance
Philipp Rickenbacher v/o Alliance, Dipl. Natw. ETH, ist seit dem 1. September 2019 CEO und Mitglied der Geschäftsleitung der Julius Bär Gruppe AG und der Bank Julius Bär & Co. AG. Zudem ist er seither auch Mitglied des Verwaltungsrates der Schweizerischen Bankiervereinigung, Basel. Seine Karriere begann Alliance im Handelssupport bei der Schweizerische Bankgesellschaft (1996–1997). Von 1997 bis 2004 arbeitete er für McKinsey & Company in Zürich und London. 2004 stiess er zur Bank Julius Bär & Co. AG. Nach zweijähriger Tätigkeit für die GAM (Schweiz) AG in den Jahren 2007/08 kehrte er 2009 zu Julius Bär zurück.
In der AV Turicia amtete Alliance während seiner Aktivenzeit als Senior (Wintersemester 1994/95), als Aktuar (Sommersemester 1995) und als Fuchsmajor (Sommersemester 1996). Zudem gehörte er von 2002 bis 2009 der Kontrollstelle der Turicerstamm AG an und von 2012 bis 2016 amtete er als deren Sekretär.

© Julius Bär Gruppe AG.

Die Krise als Katalysator

Rickenbacher v/o Alliance ist in seinem Büro an der Bahnhofstrasse, Heeb v/o Palü wählt sich aus dem Home-Office in die Telco ein. Zwecks Pflege einer vertrauten Tagesstruktur, vereinzelter sozialer Kontakte und aufgrund der vorhandenen Infrastrukturen arbeiten beide auch während Corona-Lockdown-Zeiten überwiegend in ihren Büros statt im Home-Office. «Der heutige Home-Office-Tag ist eher eine Ausnahme», so Palü. Die bundesrätlichen Verhaltensregeln können beide am fast leeren Arbeitsplatz problemlos berücksichtigen. Palü: «Ich treffe mich zudem regelmässig mit Vertretern der Regierung, weshalb für mich das Arbeiten im Büro in der Stadt von Vorteil ist.»

Bei der BKB und der Bank Cler sind rund 70 Prozent der Mitarbeitenden aktuell aus dem Home-Office tätig – das entspricht ca. 900 Angestellten. Der Rest ist aufgrund ihrer Tätigkeiten vor Ort zugegen– beispielsweise in den Filialen, die alle geöffnet sind, oder auch Mitarbeitende im Handel und in Backoffice-Funktionen mit physischen Tätigkeiten. «In den Filialen schaue ich regelmässig persönlich vorbei. Die Mitarbeitenden, die weiterhin auf die Bank kommen müssen, schützen wir bestmöglich. Sie schätzen es, wenn der Chef ab und an vorbeischaut», erzählt Palü.

Ähnlich sieht es bei der Bank Julius Bär aus. Alliance: «Wir haben rund 7’000 Mitarbeitende, die so ausgerüstet sind, dass sie von Zuhause aus arbeiten können. Es arbeiten jedoch zu keinem Zeitpunkt alle gleichzeitig im Home-Office – u.a. Handelsfunktionen, IT-Kontrolltätigkeiten, Empfang und Security-Funktionen müssen teils vor Ort erledigt werden.»

Die Verlagerung des Arbeitsplatzes vom Büro ins Home-Office für eine so lange Zeit und für so viele Arbeitnehmende verlangte nach Lösungen für neue Umstände wie beispielsweise den Umgang mit Kundendaten in den heimischen vier Wänden. Palü: «Unsere Mitarbeitenden dürfen aufgrund des Bankkundengeheimnisses keine physischen Dokumente mit nach Hause nehmen. Telefonate mit Kunden sind vertraulich zu führen. Für physische Unterschriften wurde eine digitale Signatur eingerichtet.» Über VPN haben die Mitarbeitenden von Zuhause aus Zugriff auf die firmeninternen Netzwerke. Für die Umsetzung solcher Änderungen sind normalerweise mehrstufige Prozesse notwendig. Doch zu Corona-Zeiten mussten hierfür verantwortbare Shortcuts gewählt werden, um innert nützlicher Frist vom Normalbetrieb in den Krisenmodus zu wechseln. «Das ist mit Risiken verbunden, die stets im Auge behalten werden müssen», erklärt Palü. Alliance ergänzt: «Innert kürzester Zeit mussten für solche und weitere temporäre Neuausrichtungen Lösungen regelrecht aus dem Boden gestampft werden. Der möglichst friktionslose Wechsel von einer physischen, papierbasierten Welt mit gemeinsamem Arbeiten in Grossraumbüros hin in einen Remote-Modus, innerhalb dem Teams und Arbeitskollegen voneinander räumlich getrennt arbeiten, wartete mit operationeller Komplexität auf. Die Krise hat Lösungen hierfür regelrecht katalysiert. Diese Schritte, die wir innert wenigen Wochen getätigt haben und die wir nun laufend optimieren, hätten ohne die gegebene Krisensituation in der Umsetzung wohl Jahre beansprucht.»

Business Continuity first

Am 16. März 2020 stufte der Bundesrat die Situation in der Schweiz als «ausserordentliche Lage» gemäss Epidemiengesetz ein. Einige Kantone wie u.a. das Tessin, der Jura und Graubünden beschlossen bereits in den Wochen davor Massnahmen, die das öffentliche Leben weitestgehend stilllegten. Auch bei den Banken Julius Bär und der BKB begann man bereits vor dem Lockdown mit den Vorbereitungen für den Krisenmodus. Alliance: «Wir haben Standorte u.a. in Hong Kong und Singapore. Mit dem Anbranden der ersten Welle in Asien konnten wir die aufziehenden Probleme recht früh antizipieren und die internen Vorbereitungen begannen dann auch zeitnah. Als das Coronavirus Europa erreichte, mussten wir nicht zuerst noch eine entsprechende Organisation aufbauen.» Für den schnellen Wechsel ins Home-Office habe es sich bewährt, dass bei der BKB in vielen Bereichen das mobile Arbeiten bereits etabliert oder vorbereitet war – zahlreiche Mitarbeitende waren bereits mit Laptops ausgestattet und hatten keinen fixen Arbeitsplatz mehr.

Bei der BKB wurden in der zweiten Hälfte des Monats Februar eine Taskforce Pandemie einberufen. Palü: «Wir starteten mit ersten Vorbereitungen wie beispielsweise der Anhebung der Internet-Bandbreite, damit später alle Mitarbeitenden problemlos aus dem Home-Office auf unsere Server zugreifen konnten, ohne dass das Netz überlastet. Ab Ende Februar gingen wir in den ausserordentlichen Modus über. Seither treffen sich die Mitglieder der Taskforce täglich virtuell zu einer Standortbestimmung.»

Zu Beginn lag der Fokus der Aktivitäten auf der Business Continuity und auf der Gesundheit der Mitarbeitenden sowie der Kundinnen und Kunden. Palü: «Es ist eine bewegte Zeit. Anfangs war es der Wechsel vom normalen in den ausserordentlichen Modus. Jetzt geht es darum, den ausserordentlichen Modus zu beherrschen. In einem nächsten Schritt muss es darum gehen, langsam wieder aus diesem ausserordentlichen Modus heraus zu kommen. Damit einher gehen täglich Neuerungen.»

Home-Office als Zukunftsmodell?

Während des Corona-Lockdowns hatten viele Schweizer Arbeitnehmende einen Arbeitsweg von weniger als einer Minute. Aus dem Bett – vorzugweise unter die Dusche – und ins Büro im Zimmer nebenan oder im Wohnzimmer. Kein Pendeln, weniger Stau, keine Geschäftsreisen. Halbleere Büroräumlichkeiten und trotzdem funktionierte der Betrieb. Anbieter von Software für Telefonkonferenzen verzeichneten einen exponentiellen Zulauf – beispielsweise das US-amerikanische Unternehmen Zoom Video Communications, dessen explosionsartiger Aufschwung jedoch aufgrund von massiven Sicherheitsbedenken jäh endete (siehe u.a. Berichterstattung der NZZ vom 9. April 2020).

Die Banken BKB und Julius Bär mussten sich nicht mit Zoom-Bedenken herumschlagen, da sie über eigene Software-Lösungen für virtuelle Konferenzen verfügen. Alliance gewinnt der virtuellen Arbeitswelt Positives ab: «Ich habe aktuell [17. April 2020] wesentlich mehr Kontakt mit meinen GL-Kolleginnen und -Kollegen, als wenn ein jeder in seiner physischen Tagesroutine eingespannt und deshalb teils zehn bis zwölf Stunden am Tag nicht erreichbar ist. Aktuell ist die Erreichbarkeit viel besser, was einem mehr Möglichkeiten gibt, u. a. auch beim breiteren und tieferen Einbinden von Personen in die Problemlösungsprozesse. Ich habe für die aktuellen virtuellen Konferenzen eine andere Teilnehmerzusammensetzung als damals für physische Meetings. In dieser Fluidität und dem funktionsübergreifenden Arbeiten sehe ich die Magie. Es schafft den Präzedenzfall, von den starren Kaskaden wegzukommen.»
Auch der Umgang der BKB mit der aktuellen Situation eröffnet spannende Einblicke: «Wir verfolgen das Ziel, die Anzahl physischer Arbeitsplätze auf 0.8 pro Mitarbeitenden zu reduzieren. Bereits vor Corona-Zeiten war es beispielsweise wegen Teilzeitarbeit nicht angezeigt, einen fixen Arbeitsplatz pro Mitarbeitenden verfügbar zu haben. Wenn wir jetzt die Situation während der aktuellen Corona-Situation berücksichtigen, dann glaube ich, dass 0.8 nicht nur möglich ist, sondern dass wir gar darüber hinaus neue Wege finden können, wie wir künftig in flexibleren Arbeitsmodellen effizient zusammenarbeiten können.»

Noch ist das Ende der Corona-Krise nicht absehbar. Zudem wird der Exit aus dem Lockdown gestaffelt stattfinden. Alliance: «Wir müssen daran arbeiten, dass die relevanten Teile der aktuellen Entwicklungen beständig sind. Es braucht eine Weiterentwicklung, nicht nur in Bezug auf den Arbeitsplatz, sondern auch auf die Art und Weise der künftigen Interaktion; darauf, wie man seine Zeit nutzt. Selber gestalte ich meine Zeit aktuell auch ganz anders aus als damals mit den vielen physischen Meetings. Diese neue Arbeitsweise muss man nun finden und hierfür bietet die Corona-Krise eine interessante Opportunität. Wir müssen die angestossenen Entwicklungen jetzt weitertreiben und nicht warten, bis die Krise vorbei ist. Denn hat sich die Situation wieder maximal möglich normalisiert – ein eigentliches Ende der Krise wird lange auf sich warten lassen –, verfallen wir schnell wieder dem alten Trott und dann ist es für eine schwungvolle Weiterentwicklung zu spät.»

Personalabbau im Zuge dieser Entwicklungen hat es weder bei Julius Bär noch bei der BKB gegeben. Alliance: «Entlassungen wegen der Corona-Krise hat es keine gegeben.» Dasselbe bei der BKB, gemäss Palü: «Wir stellen keinen Nachfragerückgang fest. Auch nicht auf der Finanzierungsseite. Im Gegenteil, aufgrund der KMU-Überbrückungsprogramme und der zahlreichen Kreditanfragen auch von grösseren Firmenkunden verzeichnen wir aktuell eine grössere Nachfrage als früher.» Alliance ergänzt: «Im Februar habe ich meine Strategie für die nächsten drei Jahre öffentlich gemacht und diese sieht einen mittelfristig tieferen Personalbestand vor. Das hat aber nichts mit Corona zu tun.»

Der Schweizer Finanzplatz nach Brexit…

Der Schweizer Finanzplatz kann als gesund betrachtet werden. Die Banken sind gut kapitalisiert und verfügen über eine hohe Liquidität. Der Bundesrat hat mit den jüngst geschnürten «Rettungspaketen» gezeigt, dass er zur Unterstützung der Schweizer Wirtschaft angesichts der anstehenden Herausforderungen tief in die Taschen greifen kann. Aber das Finanzsystem ist in hohem Ausmass global vernetzt. Wenn Finanzsysteme in Europa oder in anderen Ländern stark unter Druck kommen, dann wird dies auch die Schweiz zu spüren bekommen. Alliance: «Wir sind mit dem Ausland auf allen Ebenen verknüpft: realwirtschaftlich, finanzwirtschaftlich und volkswirtschaftlich. Wenn beispielsweise der Dollarzins kurzfristig massiv gesenkt wird, dann schlägt das in all jenen Banken, die substanzielle Dollar-Anteile in ihrem Mix halten, mit entsprechenden Zinsertragsausfällen durch. In Europa spricht der französische Präsident Emanuel Macron davon, dass die Corona-Krise eine unglaubliche Solidaritätshilfe seitens der EU notwendig mache (siehe NZZ vom 17. April 2020), sonst sei die Europäische Union als Projekt zum Scheitern verurteilt. Jede relative Schwäche des Euro führt zu relativer Stärke des Schweizer Frankens, und macht möglicherweise weitere Interventionen seitens der Schweizerischen Nationalbank nötig. Diese Effekte werden uns auch künftig betreffen.»

Und da wir schon von der EU sprechen, fragen die Aktiven Adrian Schmidli v/o Leiter und Reto Manuel Camichel v/o Pinsel, in wieweit der Brexit die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU beeinflussen könnte. Hier sehen Palü und Alliance für längere Zeit nicht viele Bewegungen. Alliance: «Solange der Brexit nicht final vollzogen ist, und das dürfte noch Jahre dauern, werden Schweizer Anliegen tendenziell hintenanstehen müssen. Und Verschiebungen von Hauptfinanzplätzen – eventuell weg von London und hin zu Paris oder Frankfurt – oder von Talentpools erfolgen in der Regel langsam, wenn überhaupt. Ich erwarte in Zusammenhang mit dem Brexit keine komplette tektonische Verschiebung in der Europäischen Landschaft.»

«Was aktuell auf dem Finanzmarkt passiert ist mehr als eine Korrektur. Und dies ist noch nicht vorbei. Wir werden sehen, wo diese Entwicklung hinführt, sobald die realwirtschaftlichen Folgen absehbarer werden.»

Philipp Rickenbacher

… und nach Corona

Der Schweizer Finanzmarkt konnte einen langen Aufwärtstrend vorweisen. Es seien Stimmen laut geworden, wie Leonardo Ravaglia v/o Flitz als Diskussionspunkt für dieses Gespräch geschrieben hat, dass bald eine Korrektur eintreten werde. Alliance: «Was aktuell auf dem Finanzmarkt passiert ist mehr als eine Korrektur. Und dies ist noch nicht vorbei. Wir werden sehen, wo diese Entwicklung hinführt, sobald die realwirtschaftlichen Folgen absehbarer werden.»

Aussagen über die Gewinner und Verlierer der Corona-Krise können noch keine gemacht werden. Doch Palü und Alliance wagen einen Ausblick auf allfällige strukturelle Änderungen in der Finanzindustrie. Palü: «Ich glaube nicht, dass aufgrund der Corona-Krise die neuen digitalen Player im Retail Banking substanziell an Terrain gewinnen werden. Aus Online-Banken-Kreisen höre ich eher, dass sie aktuell weniger Neukunden verzeichnen als vor der Corona-Krise. Ich sehe dies auch bei uns: Zak [eine Banking App von der Bank Cler] hat weniger Neukunden im Gegensatz zum klassischen filialgebunden Geschäftsmodell, das wir bei der Cler oder der BKB haben. Allenfalls wird es einen evolutionären Schritt in Richtung digitaler Handelsformen geben, aber in der Industriestruktur erwarte ich zumindest in der näheren Zukunft keinen eigentlichen Bruch. Was klar festgestellt werden kann, ist, dass weniger Bargeld verwendet wird. Sprich, eine Kartenindustrie könnte von der aktuellen Situation profitieren.»

Alliance sieht mögliche Veränderungen in der Arbeitsweise: «Aufgrund der gemachten Erfahrungen könnte es in der Branche zu einem Rennen in Richtung moderne, digitale Arbeitsweisen kommen. Wer jetzt schon den Anschluss verpasst hat, der könnte in Zukunft abgehängt werden. Aber hier sprechen wir eher von mittelfristigen Entwicklungen. Kurzfristige Strukturbereinigungen wegen der Corona-Krise sehe ich eher weniger.» Aber auch mögliche Veränderungen in den Finanzmärkten: «Dies ist auch eine Zeit, wo Eingriffe in die Finanzmärkte geschehen. Man hört sogar Diskussionen in Richtung von staatlich gelenkten Zinsen für Obligationen. Das wären ungeheure staatliche Eingriffe in die Märkte. Daraus könnten strukturelle Bereinigungen hervorgehen.

Hoffentlich bleibt die Finanzkrise aus

Die Überschrift dieses Beitrags fokussiert darauf, dass die Banken dieses Mal «Teil der Lösung» sind und dies auch bleiben möchten. Alliance: «Erstmals seit Jahrzehnten werden Banken als Teil der Lösung gesehen. Ausserdem ist das globale Finanzsystem wesentlich stabiler und Banken besser kapitalisiert. Das ist ganz anders als 2008, und das zeigt sich auch in der Interaktion mit den Kunden. Ich spüre dies als Wealth Manager, wir werden von den Kunden gebraucht – wir geben Investitionsempfehlungen ab und helfen, das Vermögen zu strukturieren, die Risiken zu managen. Diese Hilfestellung ist jetzt notwendig und wird auch nach der Krise, wenn sich wieder Investitionsmöglichkeiten ergeben, gefragt sein.»

Im April wurden viele Überbrückungskredite an KMUs ausgegeben, damit sie Ertragseinbrüche aufgrund des Lockdowns überwinden können. Palü: «Ob sich hieraus später vermehrt Konkurse ergeben, die einem erhöhten Rückstellungsbedarf bei den Banken bedürfen, dürfte sich erst gegen Herbst dieses Jahres abzeichnen. Es kommt stark auf die Art der Markterholung an – ob es eine U-förmige, eine V-förmige oder eine L-förmige Konjunkturerholung gibt. Aufgrund dessen lassen sich Schlussfolgerungen zur Erholung der Realwirtschaft ziehen und damit auch im Nachgang zu den Auswirkungen auf die Banken. Wenn die Corona-Krise zu einer Finanzkrise wird, dann wäre das problematisch. Sollte die Liquidität im Bankensystem aufgrund von massiven Kreditausfällen in einem halben Jahr oder in einem Jahr nicht mehr fliessen und Banken in Insolvenzprobleme geraten, müssten die Zentralbanken massiv eingreifen. Es wäre wichtig, dass die Banken weiterhin Teil der Lösung sind und nicht – wie im Falle einer Finanzkrise – zu einem Teil des Problems werden. Ganz immun hierfür sind wir jedoch leider nicht, auch wenn der Schweizer Finanzplatz aktuell solide dasteht. Wie gesagt, sind wir global stark vernetzt.»

Rezession oder Depression?

Am 14. April 2020 war in der NZZ zu lesen, dass der IMF «die schlimmste Rezession seit der Grossen Depression» erwarte, wobei die Weltwirtschaft 2020 um 3% schrumpfen könnte. Worauf steuern wir zu? Palü: «Ich erachte diese Zahlen für übertrieben. Es werden nun ohne Skrupel die schwärzesten Szenarios aufgezeigt, geknüpft wohl an die Hoffnung, dass diese nie eintreffen werden. Wie tiefgreifend die Rezession ausfallen wird, lässt sich meiner Meinung nach noch nicht abschätzen. Hier wird es sicherlich nützlich sein, die Entwicklungen in Asien zu beobachten und zu analysieren oder abzuwarten, wie schnell dort der Ausstieg aus dem Lockdown erfolgen kann und was das für uns bedeuten könnte.» Hier knüpft Alliance an: «Ich habe heute Morgen gehört, dass die Outputs einzelner asiatischer Firmen nach Wiederaufnahme der Produktion so um die 10 bis 20% unter dem Vorkrisen-Niveau liegen. Und das dürfte noch eine Weile so bleiben. In der Schweiz sind durch die Notmassnahmen rund 30% der Wirtschaft zum Erliegen gekommen. Extrapoliert auf das Bruttoinlandprodukt des Landes wird klar, dass dies erhebliche Folgen haben wird. Das dürfen wir nicht verharmlosen. Es wird eine tiefe Rezession geben [siehe NZZ vom 23. und 24. April 2020], in gewissen Ländern wohl gar eine Depression.»

In Bezug auf die Unterscheidung von Rezession und Depression erklärt Palü, wie sich das regional unterschiedlich auswirken könnte: «Die Entwicklungen werden je nach Region und Land anders ausfallen. Wenn wir beispielsweise unsere Lieferketten überdenken und weniger auslagern, oder wir unser Konsumverhalten ändern, hat das regional unterschiedliche Auswirkungen. Im Zusammenhang mit Bekleidung zum Beispiel dürfte der Impact in Bangladesch, wo Kleider im grossen Stil hergestellt werden, viel grösser sein als in der Schweiz. Dies kann zu massiven wirtschaftlichen Einbrüchen in Bangladesch führen, während es bei uns einfach als ein verändertes Konsumverhalten registriert wird. Über Lieferketten kann es zu weitreichenden Übertragungen von wirtschaftlichen Problemen kommen.»

Mit einer drohenden Rezession stellt sich die Frage, wie man einer solchen entgegentreten kann. Flitz verweist auf die Möglichkeit, dass eine Zinssenkung von Vorteil sein könnte. Alliance hierzu: «Die Grundsatzfrage ist, ob dieses Rezept überhaupt noch nützt. Wir haben Jahre erlebt, in welchen man über Geldmarktpolitik versucht hat, Defizite der Realwirtschaft zu kompensieren. Mario Draghis ‹Whatever it takes› in Europa, aber auch was alle anderen Zentralbanken auf der ganzen Welt gemacht haben mit den Zinsen war auch eine Substitution für fiskalpolitische Massnahmen. Der Spielraum dafür ist heute viel kleiner als nach der letzten Krise.» Alliance sieht hingegen auch kein Szenario mit global steigenden Zinsen. «In Europa herrschen aktuell ganz andere Probleme vor. Dies zwingt auch die Schweizer Nationalbank, die Zinsen über eine längere Zeit tief zu halten. Es braucht eine richtige Fiskalpolitik. Die Zeit der Austerity ist wahrscheinlich vorerst vorbei, so unwohl einem dabei sein kann. Es klingt grundsätzlich immer vernünftig, zu sparen und vorsichtig zu sein und dies war sicherlich auch ein Erfolgsrezept der Schweiz. Hiermit haben wir uns unsere heutige Schlagkraft erarbeiten können – und jetzt müssen wir sie einsetzen.» Deshalb erachtet Palü die Agilität für das Meistern von zukünftigen Herausforderungen als besonders wichtig und Alliance ergänzt: «Als Unternehmer kannst Du nie 100% für das Worst Case-Szenario vorsehen. Das ist, als ob Du für 10 Jahre Notvorräte im Keller anlegen möchtest. Das kannst Du machen, aber es kostet zu viel. Man muss ein Element der Flexibilität und der Reaktionsgeschwindigkeit im Unternehmen drin haben.»

Investieren in Bitcoins?

Bekanntlich lieben wir Schweizerinnen und Schweizer das Bargeld. Doch grad zu Corona-Zeiten wird dieses zur Virusschleuder stigmatisiert. Die Regierung empfiehlt, mit der Karte zu bezahlen. In diesem Kontext poppt in den Medien wieder vermehrt die Frage auf, wo denn eigentlich Cyberwährungen wie die Bitcoins abgeblieben sind. Alliance: «Ich fand Bitcoin stets ein interessantes Phänomen, war jedoch auch immer skeptisch. Die Bitcoin-Entwicklungen der letzten paar Wochen haben gezeigt, dass Crypto-Währungen nicht das neue Gold sind. Ich glaube jedoch fest an das langfristige Potenzial der Tokenisierung von Vermögenswerten. Für diese Entwicklung werden wohl aber noch ein paar Jahre ins Land ziehen müssen.»

Für Anleger würden zudem auch in den aktuell bewegten und unsicheren Zeiten die bewährten Investitionsregeln gelten: «Ganz im Sinne von Warren Buffet: Ändere in Krisenzeiten nie die Investitionsstrategie. Für risikoreiche Anlagen einen langen Anlagehorizont einkalkulieren, Diversifikation berücksichtigen», so Palü. Alliance ergänzt: «Wenn Du bis jetzt noch nie investiert haben solltest und Dich bis dato nicht hierfür interessiert hast, dann wäre nun wohl der falsche Zeitpunkt, deine Ersparnisse zu investieren und zu hoffen, dass Dir ‹Buying the Dips› [Schnäppchen aufgrund von aktuell grossen Kursverlusten] gelingen werden. Wenn Du bereits investiert bist, dann muss man aktiv die Märkte verfolgen, aber ist auch gut bedacht, eine gewisse Kontinuität zu bewahren. Natürlich kann es Kaufgelegenheiten geben – und wenn die implizite Volatilität bei 80 oder 100% ist, dann ist der Zeitpunkt für den Verkauf von Volatilität wohl günstig – da sind wir beispielsweise beim Thema strukturierte Produkte –, aber das sind spezifische Opportunitäten. Ansonsten gilt, stets das eigene Gesamtrisiko im Blickfeld zu behalten.»

Am Stammtisch

Als Turicer Aktive sassen Palü und Alliance wohl nie gemeinsam am Stammtisch – Palü wurde Mitglied der AV Turicia im Jahr 1984 und Alliance folgte acht Jahre später im Jahr 1992. Doch natürlich hat man sich gekannt und im Rahmen der traditionellen Turiceranlässe wie dem Martinimahl, der Weihnachtsfeier und der jährlichen Generalversammlungen der Turicerstamm AG und der Genossenschaft Turicerhaus hat man sich getroffen. Aktuell fehlt jedoch beiden die Zeit für Stammbesuche. Alliance: «Trotz all meinen bisherigen beruflichen Tätigkeiten für die Bank Julius Bär war und ist es eindrücklich zu sehen, mit welcher Dimension sich die CEO-Tätigkeit in der beruflichen Agenda spiegelt. Der Facettenreichtum gefällt mir, auch wenn mich mein Beruf stark vereinnahmt. Doch wie bei allem gibt es auch hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit ein ‹Danach›, womit dann hoffentlich später wieder Stammbesuche vermehrt möglich werden.» Für die berufliche Karriere sieht er den Wert der Studentenverbindung darin, dass man sich Erfahrungswerte wie Verantwortung, Commitment und soziales Engagement in seinen «Rucksack» packen kann. Das habe auch ihm im Berufsleben geholfen. Gleich klingt es bei Palü. Es habe in seinem bisherigen beruflichen Werdegang keine direkte Verbindung zur Turicia gegeben, aber auch ihm hat das Verbindungsleben persönlichkeitsbildende Eigenschaften mit auf den Weg gegeben, die ihm im Beruf bis heute nützlich seien. «Zudem habe ich wohl öfters mit StVern Kontakt, als mir bewusst ist. Man spricht sich im Berufsleben halt nicht mit Vulgo an.»


Dieser Beitrag erschien im Mai 2020 im Vereinsmagazin der akademischen Verbindung Turicia.
Das Gespräch fand über Telefon am Freitag, 17. April 2020, von 16 bis ca. 17.10 Uhr statt. Vereinzelte Nachträge erfolgten per schriftlichen E-Mail-Verkehr mit den jeweiligen Pressestellen (Larissa Alghisi von der Bank Julius Bär und Patrick Riedo von der BKB). Neben Heeb v/o Palü, Rickenbacher v/o Alliance und Böhni v/o Medial haben auch die Wirtschaftsstudenten und Turicer Aktiven Leonardo Ravaglia v/o Flitz, Adrian Schmidli v/o Leiter und Reto Manuel Camichel v/o Pinsel an der Telco teilgenommen. Flitz, Leiter und Pinsel haben dem Schreibenden zudem beim Erarbeiten des Fragenkatalogs im Vorfeld der Telefonkonferenz geholfen. Vielen Dank an alle. Zudem ein Dankeschön an die Assistentinnen von Alliance, Gaby Welte und Samantha Borromeo, und an die Assistentin von Palü, Sabrine Hasler, für die geschätzte administrative Unterstützung.

Veröffentlicht von:

Basil Böhni

Im Sommer 2018 gründete Basil Böhni (*1985) die Böhni Communications GmbH. Er studierte im Hauptfach Publizistik an der philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Auf seinem bisherigen Berufsweg durfte sich Basil Böhni für verschiedene Arbeitgeber und Kunden in den Bereichen interne Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Digital Marketing, Kultur, Event Management und Journalismus engagieren.