«Sie schüren und richten, sie spitzen zu und korrigieren, sie lösen Krisen aus und helfen, sie zu bekämpfen.» Diese Eigenschaften attestiert Hartwin Möhrle den (Massen-) Medien. Es zeigt sich deren Janusgesicht – «Brandbeschleuniger» und «Feuerlöscher». Welche Seite sich stärker beziehungsweise zu welchem Zeitpunkt offenbart, kann von der jeweiligen Kommunikation von Unternehmen oder Behörden beeinflusst werden.
Dieser Fachbeitrag präsentiert einen Überblick über die Interdependenzen zwischen Krisen und öffentlichen Medien. Welche Rolle kommt dem Journalismus während der Krise beziehungsweise hinsichtlich der Entstehung einer Krise zu? Wie können Unternehmen die Medien in ihre externe Krisenkommunikationsstrategie einbeziehen? Welche Chancen und Risiken eröffnen das Internet und die sozialen Medien? Und was hat es mit Darksites auf sich? Mit dem Anbranden einer Krise erlangt die Deutungshoheit über eine Situation grosse Wichtigkeit. Und hier besteht eine enge Verknüpfung mit den öffentlichen Medien, denn: wenn man die Kommunikation nicht selbst an die Hand nimmt, dann tun dies andere für einem…
Einleitende Bemerkung
Im Fachbeitrag vom 3. Mai 2020 («Krisen nicht ausschweigen») steht abschliessend, dass in Krisenzeiten die interne Kommunikation das A&O ist. Externe Kommunikation in Form von Öffentlichkeitsarbeit könne Chancen bergen und werde zusätzlich unabdingbar, sobald aussenstehende Parteien – beispielsweise BürgerInnen, KundInnen und LieferantInnen – von einer Krise direkt betroffen seien oder auch wenn der Auslöser und die Umstände einer Krise in den Interessenfokus der indirekt oder gar nicht-betroffenen Öffentlichkeit rücken. Letzteres kann aufgrund eines hohen Nachrichtenwerts und im Rahmen einer Skandalisierung erfolgen. Diese Priorisierung der internen gegenüber der externen Kommunikation behält ihre Gültigkeit, auch wenn für den vorliegenden Fachbeitrag auf die öffentlichen Medien und damit einhergehend auf die nach Aussen gerichtete Kommunikation fokussiert wird.
Medien als «Brandstifter»
Medien informieren und unterhalten – wünschenswerterweise objektiv, unabhängig und wahrheitsgetreu. Öffentlich-rechtliche Medien unterstehen in diesem Punkt einem gesetzlichen Auftrag, weshalb sie meist als vertrauenswürdiger eingestuft und daher in Krisenzeiten und der dazugehörenden Unsicherheit besonders stark rezipiert werden. Dennoch spielt auch für sie der Nachrichtenwert von Geschichten eine zentrale Rolle – nicht nur für private Medien. Sie sind ständig auf der Suche nach aufmerksamkeitswirksamen, für die Öffentlichkeit relevanten Geschichten. Für «Fake News» darf kein Platz sein – schon gar nicht bei öffentlich-rechtlichen Medien – aber der Sensationsgehalt bleibt verlockend und treibt in einzelnen Fällen attraktive, wenn auch teils gefährliche Blüten.
Skandalgeschichten lässt kein Medienhaus unkommentiert vorbeiziehen und solche sind bei selbstverschuldeten Krisen meist inhärent (anders bei Unfall- oder Opferkrisen). Eine Konsequenz hieraus: «In der Mediengesellschaft kann man sich nicht verstecken, zumindest nicht auf Dauer», so Hartwin Möhrle. Einen Mißstand oder eine interne, selbstverschuldete Krise kaschieren oder aussitzen zu wollen, kann also desaströse Folgen haben, wenn diese von den Medien in Eigenarbeit entdeckt werden. Einer hierauf folgenden Skandalisierung kann, wenn, dann nur dank umfassender Vorbereitung beigekommen werden, doch in der Regel bleiben resultierende Reputationsschäden substanziell und die Konsequenzen für einzelne Exponentinnen und Exponenten oder ganze Unternehmen dramatisch. In solchen Fällen schüren Medien Krisen oder lösen diese sogar aus, um auf Möhrles einleitendes Zitat zurückzukommen. Diese Umstände haben sich mit den sozialen Medien drastisch verschärft, denn dank ihnen ist ein jeder selbst auch «Redaktor» und «Leserreporter». Schwups, ist die Foto gemacht, ins Netz gestellt und mit Fragen versehen wie «ist das SUVA-konform?». Je nach Art und Geschwindigkeit der Reaktion hierauf, kann aus der Kommunikationskrise die eigentliche Krise entwachsen. Doch es geht auch anders.
Medien als «Feuerlöscher»
Öffentliche Medien und Social-Media-Nutzer müssen nicht nur anprangern und skandalisieren, sondern können auch bei Krisenbewältigung und -lösung eine vermittelnde Funktion übernehmen. Wobei dies insbesondere bei Unfall- oder Opferkrisen mit geringer oder keiner Selbstverschuldung möglich ist – wie beispielsweise jüngst im Falle der Corona-Krise, während der Medien und Bürger anfangs die vom Bundesrat erhaltenen Informationen in einer Multiplikatorrolle weitestgehend unverändert weiterverbreitet hatten, rational-kritische Stimmen sich dann jedoch ab der teils unschlüssigen Kommunikation zu den Lockerungsmassnahmen vermehrt Bahn brachen.
In diesem Falle soll das Augenmerk der Krisenkommunikation darauf gerichtet sein, bei allen Verantwortlichen den gleichen Informationsstand sicherzustellen sowie die Medien und die Bevölkerung umfassend, aktuell, widerspruchsfrei und wahrheitsgemäss zu informieren. Sprich, hier wird die Öffentlichkeit aktiv oder gar proaktiv informiert. Diese sollen sich die Informationen nicht – auf zweifelhaften Quellen basierend – zusammensuchen gehen müssen. Mit einer gut vorbereiteten, transparenten Krisenkommunikation können Spekulationen und Gerüchte vorgebeugt oder verhindert werden, was wiederum das Anstreben der Meinungshoheit und das Zeigen von verantwortungsbewusster Präsenz ermöglicht. Dabei müssen alle Botschaften und herausgegebenen Informationen in einem angemessenen und klaren Sprachstil gehalten sein. Der Verdacht, dass Informationen und Verantwortlichkeiten falsch dargestellt oder unterschlagen werden, darf sich zu keinem Zeitpunkt veranlasst sehen, denn damit droht die Deutungshoheit abhanden zu kommen.
Um das Informationsbedürfnis der Medien und der Öffentlichkeit besser bedienen zu können, empfiehlt es sich, eine offensive Kommunikation zu führen: direkte und indirekte Ursachen und Auswirkungen der Krise aufzeigen, Verantwortung übernehmen und Handlungen zur Krisenbewältigung präsentieren. Eine defensive Kommunikation sollte nur bei Krisen, bei denen man ein geringes öffentliches Interesse vermutet, verfolgt werden. Der Vorteil einer zurückhaltenden Kommunikation kann sein, dass eine Krise als solche gar nicht an die breite Öffentlichkeit gelangt. Doch gilt es im Kontext der Krisenkommunikation stets im Hinterkopf zu behalten: «Wer schweigt, hat Unrecht» und «schuldig bis zum Beweis des Gegenteils», so Bernhard Messer. Sollte eine defensive Strategie den Informationsbedarf der Öffentlichkeit nicht stillen können, droht wiederum die Gefahr, dass Medienschaffende und anderweitig Interessierte alternative Kanäle zur Informationsbeschaffung suchen und dass damit die Meinungshoheit verlustig geht.
Pressearbeit – von langer Hand planen
Eine konstruktive Pressearbeit bedarf nach einem langfristig gepflegten Netzwerk. Denn, auf den Journalistinnen und Journalisten lastet ein substanzieller Wettbewerbsdruck, der unter Umständen in voreiligen, noch unvollständigen Medienmeldungen münden kann. Hier kann es matchentscheidend sein, wenn Medienschaffende einen direkten Draht zu einem ihnen bekannten, erreichbaren Mediensprecher haben. In einem Leitfaden des Deutschen Bundesministeriums des Innern wird die Situation wie folgt beschrieben:
«Katastrophen und Krisen sind eine Quelle für Nachrichten, erfüllen sie doch ein Relevanzkriterium für Journalismus: Sie durchbrechen die Regel und repräsentieren eine Störung des Alltäglichen. Auf Seiten der Bevölkerung verursachen sie einen hohen Informationsbedarf, auf den angemessen reagiert werden muss. Das Interesse der Öffentlichkeit, der Wettbewerb von Medien sowie die gewachsene Bedeutung des Internets verstärken die Tendenz zu immer spektakuläreren Meldungen. Dieser Dynamik und dem Druck zur Veröffentlichung können sich viele Medien immer schwerer entziehen.»
Daher ist für eine erfolgreiche Pressearbeit zu Krisenzeiten ein etabliertes und gelebtes Netzwerk zu Medienschaffenden – der direkte Kontakt zu den Medien – sowie das zeitnahe Bereitstellen von möglichst umfassenden Informationen wichtig (beispielsweise anhand von Medienmitteilungen und Darksites (siehe Details hierzu im übernächsten Textabschnitt)). Für die Kommunikation während Krisenzeiten eignen sich zudem nur etablierte Kommunikationskanäle. So ist es beispielsweise wenig effektiv, einen Twitter-Account während der akuten Krisenphase einrichten und nutzen zu wollen, da der Aufbau eines seriösen Follower-Netzwerks nicht über Nacht erfolgen kann. Zudem sollte mit einem Medien-Monitoring fundiertes Wissen zu den Mediendaten – u. a. Reichweite – und zu den jeweiligen Zielgruppen vorgängig eingeholt werden. Damit man die jeweiligen Informationen möglichst zielgruppengerecht aufbereitet anbieten kann und weiss, über welches Medium man welche Zielgruppe am besten erreicht. Weiter können mit einem Medien-Monitoring allenfalls «kritische» Medien ausfindig gemacht werden, denen man bei Möglichkeit oder Notwendigkeit ein höheres Mass an Aufmerksamkeit zukommen lassen will.
Die Pressearbeit in Krisensituationen sollte durch externe Dritte erfolgen können und sie muss mit hoher Priorität behandelt werden. Oftmals können nur in solcher Konstellation die benötigten personellen und zeitlichen Ressourcen aktiviert werden. Zudem bringt das Einbinden von externen Kommunikationsspezialisten differenzierte Sichtweisen auf eine drohende/bestehende Krise mit sich. Kurze Reaktionszeiten und volle Transparenz entlang der gesamten Kommunikationskette sind zwingend.
Öffentlichkeitsarbeit
In Bezug auf die Krisenkommunikation mit der Bevölkerung ergibt sich eine wichtige Besonderheit: die Risikomündigkeit. Konnte die Bevölkerung bereits im Vorfeld einer akuten Krise über Risiken und Verhaltensregeln informiert werden (via Risikokommunikation), kann ein Eintreten auf die Krisenkommunikation entsprechend rascher erfolgen, da eine Risikomündigkeit geschaffen werden konnte. Es bestehen Themenaffinität und ein kritisches Überraschungsmoment kann reduziert werden. Beispielsweise kann eine Krise aufgrund eines Felssturzes für Bergdorfeinwohnerinnen und -einwohner substanziell weniger dramatisch ausfallen, wenn diese bereits im Vorfeld der Katastrophe umfassend, professionell und regelmässig mit Informationen bedient werden konnten.
Für die Öffentlichkeitsarbeit eignen sich neben Veröffentlichungen in elektronischen und Printmedien auch Publikationen und Darksites, allenfalls gar mit betreutem Online-Forum. Je nach Krisentyp und Verfügbarkeit kann zudem der Einsatz von Sirenen, Lautsprecherdurchsagen und Bürgertelefon-Aktionen sinnvoll oder notwendig sein (bspw. im Falle eines Chemieunfalls). Auch hier gilt immer: die Inhalte müssen zielgruppengerecht aufbereitet sein und idealerweise sind die effektivsten Kommunikationskanäle – aktuell meist im Umfeld der sozialen Medien – langfristig etabliert und gepflegt worden (mehr zu «Social Media und Krisenkommunikation» in einem separaten Fachbeitrag).
Darksites
Im Internet ist aktive Krisenintervention mit eigenen Diskussionsforen und Kampagnen-Seiten möglich – beispielsweise über Darksites. Hierzu schrieb Malte Hasse: «Das Internet entwickelt sich mehr und mehr zum Hotspot der Krisenkommunikation. Hier muss umfassend, transparent und schnell gehandelt werden. Darksites helfen bei der Bereitstellung krisenrelevanter Informationen und lindern den externen Recherchedruck. Zusammen mit Suchmaschinenoptimierung und Online Issue Profiling bilden sie den Dreiklang der Krisenkommunikation online. Diese drei Instrumente erfüllen zugleich drei Aufgaben der umfassenden Krisenkommunikation und -prävention: Die Früherkennung, die Nachbereitung und das Workflow-Training.»
Was heisst das? Eine Darksite kann aus einer oder mehreren Subpages, die mit Basis- und Hintergrundinformationen versehen sind, bestehen und in eine Firmenwebsite-Umgebung eingebettet werden. Diese Subpages werden im Backend erstellt (sind jedoch noch nicht online auffindbar) oder gar bereits online verfügbar gemacht, wobei die Subpages nicht von Google indexiert und die URL maximal kryptisch ausgestaltet werden sollen. So können sie noch nicht gefunden werden. Die vorab erstellte Darksite kann dann bei Bedarf mit wenigen Mausklicks verfügbar gemacht werden. Bei überraschend eintreffenden Krisen ist das Erstellen einer Darksite natürlich nicht möglich. Die Krise muss sich abzeichnen beziehungsweise sie muss als solches antizipiert werden. Zwei Beispiele für eine Darksite-Empfehlung könnten sein:
- ein Chemieunternehmen erstellt eine Darksite für ein Chemieunfall-Szenario;
- ein Tech-Unternehmen erstellt eine Darksite in Form einer Troubleshooter- oder Q&A-Page vor der Markteinführung (Launch) eines neuen Produktes.
Der Vorteil der Darksite liegt nicht nur darin, dass die benötigten Informationen umfassend und aus eigener Hand aufbereitet und dadurch validiert und schnell verfügbar gemacht werden können, sondern dass im Zuge des Aufbaus der Darksite viele krisenbehaftete Szenarien und die klaren Verantwortlichkeiten vorgängig geklärt und Massnahmen hierauf im Detail und zu «Friedenszeiten» aufbereitete werden können. Der Aufbau einer Darksite hat also einen Trainingseffekt für den Krisenmodus (Workflow-Training).
Um zu «Schönwetterzeiten» eine Darksite erarbeiten zu können, ist ein (Online) Issue Profiling unerlässlich. Mit diesem Frühwarnsystem sollen mögliche anrollende Krisen erkannt werden, denn solche können sich besonders im digitalen Raum frühzeitig abzuzeichnen beginnen. Damit eine Darksite dann auch von Suchmaschinen gefunden wird, sind Suchmaschinenoptimierung und ein AdWord Campaigning notwendig. Denn bis eine Suchmaschine eine Darksite von selbst erfasst hat, ist die akute Phase einer Krise (hoffentlich) schon vorbei. «Daher ist hier der Rückgriff auf Dienstleister unerlässlich, die mittels ihrer Geschäftsbeziehungen mit Suchmaschinen und Katalogen in der Lage sind, durch Expresseinträge in die Kataloge sowie AdWord Campaigning in Echtzeit diese Anforderungen zu erfüllen», schreibt Hasse.
Gezielte Krisennachbereitung
In den Medien kann eine Krise temporär vom Radar verschwinden – wenn sich beispielsweise ein überlagerndes Thema zur Veröffentlichung anbietet/aufdrängt – oder sie kann lange nach der akuten Krisenphase publizistisch nachwirken. Beispielsweise können neue Informationen zu einer (vermeintlich) ausklingenden Krise – wie Berichte zu Schadensbilanzen oder Gerichtsurteile – dem Thema in der Presse neuen Schub verleihen. Oder ein Krisenthema kann in der Öffentlichkeit unterschwellig präsent bleiben. Daher sind Unternehmen und Behörden gut darin beraten, in ihrem Krisenmanagement und in der Kommunikation immer auch eine gezielte Krisennachbereitung einzuplanen und auch hierüber die Medien und die Öffentlichkeit stets auf dem Laufenden zu halten – auch dann, wenn das öffentliche Interesse zu schwinden beginnt.
Teile dieser Ausführungen stützen sich auf die Publikation «Leitfaden Krisenkommunikation», herausgegeben vom Deutschen Bundesministerium des Innern. Die Zitate von Malte Hasse, Hartwin Möhrle und Bernhard Messer entstammen der Publikation «Krisen-PR. Krisen erkennen, meistern und vorbeugen» (S. 7, 22–26, 54, 174), herausgegeben 2004 von Hartwin Möhrle.