3. Mai 2020

Krisen nicht ausschweigen

Fachbeitrag

Krisenkommunikation

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«Persönliche Videobotschaften sind überzeugender als geschriebene Texte», sagt Stephan Feldhaus, Gründer und Inhaber der Boutique-Kommunikationsagentur Feldhaus&Partner. Man wird als Person in Bild und Ton fassbarer, nahbarer. So gesehen, begehe ich mit diesem Text bereits den ersten Fehler auf dem «Minenfeld» der unternehmerischen Krisenkommunikation. Doch ich habe gerne einen Text zur Hand. Gerade in Krisensituationen ist es vorteilhaft, wenn man in Textform präsentierte Informationen im eigenen Tempo abrufen und gemäss eigener Situation relevante Textstellen jederzeit punktuell herausziehen und auch wiederholt nachlesen kann. Damit soll der Videobotschaft zu Krisenzeiten jedoch keine Effektivität abgesprochen werden.

Prio I: Interne Kommunikation

Krisen stellen die vertraute Situation empfindlich oder gänzlich auf den Kopf. Sei es im globalen Ausmass wie aktuell mit der Corona-Krise oder «individuell», ausgelöst beispielweise durch Skandalgeschichten oder Cyberattacken. Verunsicherung macht sich breit und Fragen beginnen sich zu türmen – seitens der Mitarbeitenden sowie der Kundinnen und Kunden. Die Aufregung und das Interesse an Informationen sind nun besonders hoch. Ganz besonders in der heutigen Medienwelt und der daraus entwachsenen, ausgeprägten Push-Mentalität. Auf den Informationsbedarf gilt es möglichst zeitnah und in regelmässigen Abständen mit umfassender und transparenter Kommunikation zu reagieren. Zum einen um die Krise durchzustehen, ohne das Wohlwollen der Mitarbeitenden und der Kunden aufgrund von Irritationen zu verlieren, und zum anderen um sich auf die Zeit nach der Krise vorzubereiten. Natürlich will man während einer Krisenzeit auf dem Markt nicht in Vergessenheit geraten, doch vor dem Marketing muss der internen Kommunikation Priorität eingeräumt werden. «Denn, wenn Sie die eigenen Mitarbeiter nicht mehr auf Ihrer Seite haben, haben Sie verloren», resümiert Sereina Schmidt, die u.a. an der Marketing & Business School Zurich (MBSZ) zum Thema Krisenkommunikation doziert.

Während Krisenzeiten gilt es, die Kadenz der internen Kommunikation deutlich zu erhöhen. Essenziell ist, neue Entwicklungen zeitnah zu kommunizieren und keine Informationen zurückzuhalten. Erfolgt diese Kommunikation durch die/den CEO persönlich, schafft das Vertrauen. Es signalisiert: Ich sitze mit Euch im gleichen Boot und bin erreichbar. Je nachdem bedarf es eines oder mehreren Meetings pro Tag – physisch oder im digitalen Rahmen – und schriftlichen Updates oder Videobotschaften zu deren Resultaten. Dabei ist es wichtig, dass man diese Kadenz während der akuten Krisenzeit beibehält, auch wenn mal keine neuen Informationen vorliegen sollten. Denn das Kommunizieren von wahrheitsgetreuen «No News» kann Informations-Vakua ebenfalls füllen. Dies steigert die Nachvollziehbarkeit und verhindert, dass Annahmen der bewussten Informationszurückhaltung zu zirkulieren beginnen.

Im Falle der Einberufung von Krisenstäben muss zwingend eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfolgen können – Kommunikation ist ein ganz zentraler Teil der Krisenstabsarbeit.

Lagebesprechungen in der Geschäfts- und/oder Teamleitung sollten, wenn möglich, protokolliert werden, wobei ein «nüchternes» Beschlussprotokoll je nach Grad der Emotionalität nicht ausreichend ist. Im Falle der Einberufung von Krisenstäben muss zwingend eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfolgen können – Kommunikation ist ein ganz zentraler Teil der Krisenstabsarbeit. Beschlüsse müssen auf Fakten basierend getroffen werden, auch wenn die Fakten im Stunden- oder Tagesrhythmus ändern und damit die Beschlüsse in hoher Kadenz angepasst werden müssen. Spekulationen gereichen nicht als Entscheidungsbasis.

Abschliessend soll betont werden, dass die interne Kommunikation zu Krisenzeiten davon profitiert, wenn man sich von einer gänzlich sachlichen Haltung löst und mit Empathie und Motivation aufwartet. Emotionen sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Die Mitarbeitenden sollen jederzeit Fragen stellen dürfen und sich einbringen können, denn dies eröffnet Wertschätzung und es kann zu neuen Ideen im Umgang mit anstehenden Herausforderungen führen. Zudem: jede/r Angestellte ist froh, wenn sie/er mithelfen kann, weshalb so bald als möglich eine klare Aufgabenverteilung erfolgen soll.

Prio II: Öffentlichkeitsarbeit (externe Kommunikation)

Externe Kommunikation ist dann notwendig, wenn Kundinnen und Kunden oder auch Partner und Investoren auf Informationen angewiesen sind. Dies beinhaltet insbesondere auch allfällig entstandener Informationsbedarf in der Folge von Enthüllungen, denn diese generieren wiederum Verunsicherung oder schlimmstenfalls gar Befremden. Bricht sich ein solcher Informationsbedarf anhand von Mutmassungen, Ärger, Frust, Anschuldigung etc. in den sozialen Netzwerken Bahn, kann ein Funke innert Minuten zum reputationsgefährdenden Inferno werden.

Diese im vorausgegangenen Abschnitt skizzierten Eigenschaften beziehen sich auf die gesellschaftsorientierte Kommunikation. Sie zielt auf Verständnis- und Vertrauensförderung sowie Image-Pflege ab. Im Falle eines aufziehenden so genannten Shitstorms muss das Unternehmen in diesem Bereich der externen Kommunikation zwingend aktiv werden und gezielt reagieren. Anderweitige Öffentlichkeitsarbeit empfiehlt sich in einer solchen Situation keinesfalls, denn sie kann als Ablenkungsmanöver abgestraft werden.

Toben keine Shitstorms, bietet die gesellschaftsorientierte Kommunikation – die Öffentlichkeitsarbeit – einem Unternehmen interessante Möglichkeiten, zu Krisenzeiten unaufgefordert sichtbar zu bleiben. Beispielsweise indem man über sich erzählt – Einblicke «hinter die Kulissen» gewährt. Man gibt «persönliches» Preis und schafft dadurch Nähe. So zeigen Sinfonieorchester während den aktuellen Corona-Zeiten, wie sich seine Musikerinnen und Musiker zuhause mit der Musik auseinandersetzen. Oder verschiedene Hotelbetriebe führen mit Kurzvideos durch ihre Küchen, zeigen die notwendigen Arbeitsschritte für die gründliche Reinigung ihrer Wellness-Zone, oder dokumentieren, wie sie die Essensreste an soziale Einrichtungen abgeben. Hier gibt es viele Möglichkeiten. Auch kann sich ein Unternehmen mit situationsbezogenen CSR-Massnahmen (Corporate Social Responsibility) regelrecht profilieren, doch ist dies ein herausfordernder Drahtseilakt, der als Heuchelei-Bumerang aufschlagen kann.

Die klassische Marketingkommunikation – der zweite Teil der externen Kommunikation – mit verkaufsfördernden Absichten sollte man jedoch temporär unterlassen. Steckt ein Unternehmen in einer Krise – insbesondere, wenn diese beispielsweise durch ein Fehlverhalten «selbstgemacht» ist – dann ist die Bereitschaft, deren Dienstleistung einzukaufen, meist gering oder nicht vorhanden, weshalb deren Marketingaufwände für Werbung verpuffen oder gar verärgern. Zuerst muss mit Öffentlichkeitsarbeit wieder Vertrauen hergestellt werden.

Bei der aktuellen Corona-Krise birgt die externe Kommunikation relativ wenige Gefahren, da die Unternehmen in aller Regel in der Opferrolle sind. Sprich, die Krise ist nicht selbstverschuldet und es gilt daher nicht, einen Reputationsschaden beheben oder abwenden zu müssen. Jetzt ist es entscheidend, dass die Corona-bedingte Opferrolle aufgrund unglücklicher Kommunikation nicht in ein Fehlverhalten mit Reputationsverlust umschlägt. Ein gänzlicher Verzicht auf Öffentlichkeitsarbeit birgt nicht nur die Gefahr, in Vergessenheit zu geraten, sondern kann als unprofessionell und «abwesend» gewertet werden.

Was darf man also zu Corona-Zeiten kommunizieren? Nicht die Standart-Werbekampagne und keine reine Zahlen-Daten-Fakten-Mitteilungen. Jetzt zählen positive Emotionen und wenn möglich Solidarität und Grosszügigkeit – kein Klagen und kein Anklagen von Dritten, keine Schuldzuweisungen, keine Überheblichkeit.

Reputation als fragiles Gut

Eine der am häufigsten zitierten Aussagen von Warren Buffett ist: «Es braucht 20 Jahre, sich eine gute Reputation zu erarbeiten und fünf Minuten, sie zu zerstören.» Dies gilt generell, doch zu Krisenzeiten ist die Öffentlichkeit besonders «fühlig», sensibel und analytisch. Dies bekam Ende März Adidas schmerzlich zu spüren. Im Zuge der Corona-Krise und der verfügten Schliessung der Geschäfte weltweit – mit wenigen Ausnahmen und zeitlich gestaffelt –, kommunizierte Adidas am 27. März 2020, dass sie wegen ausbleibenden Umsätzen die Zahlung der Lokalmieten ihrer Geschäfte aussetzen wollten. Die Kommunikation war unausgegoren und führte zu einer Empörungswelle. Denn anfangs März hat der Sportartikelhersteller mit 2 Milliarden Euro einen Rekordgewinn vermelden können, den er im Geschäftsjahr 2019 erzielt hatte. Und nun, während Corona-Zeiten, stiess er viele Politiker und Adidas-Fans mit einem Mangel an Empathie vor den Kopf, indem er sich während generell schwierigen Zeiten unsolidarisch zeigte. Namhafte deutsche Politiker schimpften den Konzern über Twitter in Grund und Boden und auf weiteren Social-Media-Kanälen proklamierten angeblich langjährige Kunden mit dem Hashtag #adidasboycott, dass sie Adidas künftig nicht mehr unterstützen werden. Am 1. April 2020 meldete sich Adidas mit einer Entschuldigung zurück und liess vermelden, dass man die Mieten nicht aussetzen wolle. Adidas versuchte, die missglückte Kommunikation zu glätten: es sei dem Konzern von Anfang an nur um eine Stundung der Mietkosten gegangen – nicht um einen Mieterlass – und man habe dies nicht von privaten Vermietern, die selbst in existentielle Bedrängnis geraten könnten, verlangen wollen. So oder so, der Schaden war angerichtet. Die «Adidas-Story» und der #adidasboycott machten die Runde.

Adidas konnte im Rahmen dieser Empörung keine Kosten sparen oder stunden lassen. Zudem muss sich der Sportartikelriese den Vorwurf gefallen lassen, in der Krise sein «hässliches Gesicht» gezeigt zu haben. Nun braucht es eine überzeugende Öffentlichkeitsarbeit. Das erneute Einbinden von Adidas’ langjährigem gesellschaftlichem Engagement muss vom Zeitpunkt her jedoch sehr überlegt erfolgen, denn wird dies zu früh gemacht, dürfte es als Hohn abgekanzelt werden.

Unternehmensentscheide hatten auch vor 2020 grossen Einfluss auf die Reputation, doch zu Zeiten von Corona manifestieren sie sich zu regelrechten Fallbeilen in Bezug auf Erfolg oder Misserfolg von Unternehmungen. Grad in Krisenzeiten können dringliche wirtschaftliche Gründe das Treffen schwerwiegender Entscheide notwendig machen, doch kommt derer Kommunikation ein besonderes Augenmerk zu. Es gilt die Reihenfolge: Mensch, Tier, Umfeld, Infrastruktur und an letzter Stelle kommen Geld und Finanzen. Sollte ein Unternehmen von einem Unfall erschüttert werden, stehen an erster Stelle der Kommunikation die allfälligen Opfer, deren Familien und das Wohl der weiteren Mitarbeitenden und Kunden. Dann sollen die Auswirkungen auf das Umfeld thematisiert werden und zuletzt allfällige materielle Schäden, Verluste und Ausfälle. Wird diese Reihenfolge verletzt, folgt in den allermeisten Fällen heftige Kritik.

Kommunikation zu Krisenzeiten soll verdeutlichen, dass man sich um Mitarbeitende, Kunden, Zulieferer sorgt und dass man Lösungen liefern will, statt den Verkauf der Dienstleistungen zu priorisieren. Dies kann eine «nachgelagerte» Absicht bleiben, doch sollte man nicht direkt das Wellness-Angebot mit Preisschild dran bewerben. Stattdessen kann man zum Ausdruck bringen, wie sehr sich alle Mitarbeitenden freuen, die Gäste nach dem «Lockdown-Verzicht» nun wieder in der Wellness-Oase verwöhnen zu dürfen.

«Es ist ungleich besser, beizeiten Dämme zu bauen, als darauf zu hoffen, dass die Flut Vernunft annimmt.»

Erich Kästner

Fazit

In Krisenzeiten soll man nicht schweigen. Wer hat jemals eine Beziehungskrise durch Ausschweigen oder «unter den Teppich kehren» lösen können? Krisenkommunikation ist anstrengend, muss stets in einem besonders fordernden Umfeld erfolgen und beansprucht daher die volle Aufmerksamkeit. Deshalb empfiehlt es sich, die Krisenkommunikation zu «Friedenszeiten» vorzubereiten – Erstellen von Vorlagen, Handbüchern und Checklisten, Mitarbeiterschulungen, Abstimmung mit allfällig vorhandenen Krisenstäben, Aufgabenzuteilungen etc. Ganz im Sinne von Erich Kästner: «Es ist ungleich besser, beizeiten Dämme zu bauen, als darauf zu hoffen, dass die Flut Vernunft annimmt.»

Damit die Aufmerksamkeit gebündelt eingesetzt werden kann, ist es wichtig, zu evaluieren, welche Kommunikation geführt werden muss. Dabei erweist sich die interne Kommunikation in jedem Falle als das A&O. Sie muss konzentriert und intensiv geführt werden. In Bezug auf die externe Kommunikation sollte man zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Marketing unterscheiden: Öffentlichkeitsarbeit ja, sofern externe Parteien wie Kundinnen und Kunden von der Krise betroffen sind; Marketing hingegen hat während Krisenzeiten meist einen schweren Stand. Ist externe Kommunikation nicht zwingend angezeigt, kann es sinnvoll sein, sich voll auf die interne Kommunikation zu konzentrieren und sich auf die «äussere Sichtbarkeit» nach der Krise vorzubereiten – damit dann jedes Wort sitzt.

In Bezug auf die Corona-Krise steht den meisten Unternehmen der Gang durch das «Minenfeld» der Kommunikation erst noch bevor. Bis vor kurzem konnten viele Unternehmen die Kommunikation des Bundesrates risikofrei übernehmen. Die Einschränkungen waren einfacher zu kommunizieren als die aktuell laufenden Lockerungsschritte. «Die Folgen der schrittweisen Lockerung bedeuten auch eine Segmentierung und Individualisierung in der Kommunikation der Unternehmen», wie Regina Gerdes von gullotti communications festhält. Das «Verstecken» hinter bundesrätlichen Verfügungen sei vielerorts passé. Damit fängt die eigentliche Kommunikationsleistung erst jetzt richtig an. Neben Kommunikations-Tools ist – wie immer – der gesunde Menschenverstand mit Haltung zur Wahrhaftigkeit und ein realistischer Optimismus gefragt, bei Möglichkeit gesprenkelt mit etwas Humor.



Teile dieser Ausführungen stützen sich auf die Publikation «Professionelle Krisenkommunikation. Basiswissen, Impulse und Handlungsempfehlungen für die Praxis» von Jana Meissner und Annik Schach (Hrsg.), Wiesbaden 2019. Zudem wurden Inhalte aus Webinaren von Sereina Schmidt (Sereina Schmidt AG, Neudorf) und Regina Gerdes (gullotti communications GmbH, Winterthur) einbezogen sowie das Interview der werbewoche.ch mit Stephan Feldhaus (Feldhaus&Partner, Basel) vom 24. April 2020 und verschiedene Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung» herangezogen.

Veröffentlicht von:

Basil Böhni

Im Sommer 2018 gründete Basil Böhni (*1985) die Böhni Communications GmbH. Er studierte im Hauptfach Publizistik an der philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Auf seinem bisherigen Berufsweg durfte sich Basil Böhni für verschiedene Arbeitgeber und Kunden in den Bereichen interne Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit, Digital Marketing, Kultur, Event Management und Journalismus engagieren.